Politik

"Glanzleistung von Merz"Fünf Lehren aus den Verhandlungen von Berlin

15.12.2025, 21:47 Uhr
imageVon Hubertus Volmer, Volker Petersen und Sebastian Huld
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Bundeskanzler Merz begrüßt am Abend die US-Verhandler Witkoff und Kushner vor dem Kanzleramt. (Foto: picture alliance / dts-Agentur)

Die Europäer demonstrieren in Berlin Geschlossenheit, Bundeskanzler Merz bringt Europa zurück an den Verhandlungstisch und es gibt Grund für vorsichtigen Optimismus. Aber: Jetzt hängt es an Putin und an der Frage, ob "die russische Staatsführung einen Rest an menschlichem Anstand" hat. Fünf Lehren aus den Verhandlungen von Berlin.

Der harte Kern Europas steht

An diesem Montag schafft Europa, was ihm am schwersten fällt: Geschlossenheit demonstrieren. Zumindest der harte Kern steht zusammen an der Seite der Ukraine: Bundeskanzler Friedrich Merz, der britische Premier Keir Starmer, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und sieben weitere europäische Staats- und Regierungschefs veröffentlichen am Abend eine Erklärung, in der der Ukraine für die Zeit nach dem Krieg eine "multinationale Truppe" zusichern.

Die Anwesenheit der Europäer ist ein starkes Signal für die Solidarität mit der Ukraine und mit Präsident Wolodymyr Selenskyj. An dem Treffen nehmen auch die Vertreter der USA teil, der Sondergesandte Steve Witkoff und der Präsidentenschwiegersohn Jared Kushner. Zudem wollten die Europäer mit US-Präsident Donald Trump telefonieren. Der soll erkennen: Mit den Europäern ist zu rechnen, sie meinen es ernst, sie lassen sich nicht herumschubsen. Ob Trump das tatsächlich so auffasst, wird man sehen. Doch die Europäer haben ihre Hausaufgaben gemacht.

Merz bringt Europa an den Verhandlungstisch

"Lieber Merz, Sie sind nicht einmal im Spiel", schrieb der russische Chefunterhändler Kirill Dmitrijew vor zehn Tagen auf X. Das war Propaganda - es ist ja eines der erklärten Ziele Russlands, Europa an den Rand und die USA aus Europa heraus zu drängen. Aber es ist auch falsch. Die jüngste Verhandlungsrunde in Berlin zeigt: Merz ist im Spiel, und er spielt für Europa.

"Merz hat eine herausragende Rolle in den Verhandlungen gespielt", sagt die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff ntv.de. "Ihm ist es gelungen, Europa wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Das ist schon eine Glanzleistung." Damit zeige sich Deutschland als "Führungsnation in Europa".

Druck macht Merz auch mit Blick auf das in der EU eingefrorene Vermögen der russischen Staatsbank. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj sagte Merz, dies sei eine Schlüsselfrage für die Europäische Union. Wenn es nicht gelinge, das Geld für die Ukraine nutzbar zu machen, zeige die EU der Welt, "dass wir in einer so entscheidenden Stunde unserer Geschichte nicht in der Lage sind, zusammenzustehen und zu handeln, um unsere eigene politische Ordnung auf diesem europäischen Kontinent gemeinsam zu verteidigen". Die Handlungsfähigkeit der EU werde dann "über Jahre", wenn nicht noch länger, massiv beschädigt sein. Die Entscheidung soll auf einem EU-Gipfel am Donnerstag fallen.

Zwischen Europa und den USA ist noch nicht alles aus

Ein gelungener Gipfel ändert nichts daran, dass die alten Zeiten vorbei sind. Europa und die USA sind keine unzertrennlichen Freunde mehr, keine leidenschaftlichen Transatlantiker. Jetzt ist eher kühle Interessenvertretung angesagt. Doch das heißt nicht, dass gar keine Zusammenarbeit mehr möglich ist. Dazu haben diese zwei Tage zumindest ein bisschen Hoffnung gegeben.

Was Witkoff und Kushner genau verhandelt oder gar mit der Ukraine vereinbart haben, ist noch unbekannt. Aber es war jedenfalls nicht so, dass die Ukrainer schreiend aus dem Raum gelaufen sind. Im Gegenteil, Merz schwärmte gar, es sei "wirklich beachtlich", was die USA an rechtlichen und materiellen Garantien "auf den Tisch gelegt" hätten. Haben die Amerikaner verstanden, dass sie die Europäer für einen tragfähigen Frieden brauchen? Zumindest scheint es so, dass das Verständnis für die Lage in Washington größer ist, als es schlimmste Befürchtungen nahelegen.

Alles hängt an Russland

Welche Bedeutung die Verhandlungen in Berlin haben, wird erst in der Rückschau klar sein. Beginnt hier der Anfang vom Ende des Kriegs? Oder bleiben die Gespräche folgenlos, wie die bisherigen Verhandlungen der USA mit Putin? Beides ist möglich. Merz machte deutlich, dass er Grund zum Optimismus sieht: "Wir haben in den vergangenen Tagen eine große diplomatische Dynamik, vielleicht die größte seit dem Beginn des Krieges am 24. Februar 2022, erlebt", sagte er. Erstmals werde "in diesen Tagen die Möglichkeit eines Waffenstillstands vorstellbar". Selenskyj machte zwar deutlich, dass es noch Differenzen in der Frage von Gebietsabtretungen gebe. Aber auch er sagte, die USA seien zu Sicherheitsgarantien bereit, die Artikel 5 des Nato-Vertrags entsprechen.

Parallel zu seinem grundsätzlichen Optimismus warnte Merz vor zu viel Hoffnung. "Das hängt jetzt ausschließlich an der russischen Seite", sagte er auf die Frage, ob er mit einem Waffenstillstand bis Weihnachten rechne. "Vielleicht hat die russische Staatsführung einen Rest an menschlichem Anstand und lässt die Bevölkerung wenigstens über Weihnachten mit diesem Terror für ein paar Tage in Ruhe." Selenskyj fügte hinzu: "Solche Reste gibt es nicht, aber alles ist möglich."

Berlin kann Weltdiplomatie

3600 Polizisten im Einsatz, weiträumige Absperrungen, permanentes Hubschrauber-Dröhnen und ein hier und da stockender Nahverkehr: Es war reichlich was los im Zentrum Berlins am Sonntag und am Montag. Wer aber nicht gerade ein besonders unglückliches Zeitfenster in der S-Bahn oder entlang der Straßen hinein ins Berliner Regierungsviertel erwischte, blieb als Hauptstadtbewohner oder -besucher weitgehend unbehelligt vom diplomatischen Bohei im Kanzleramt.

Kurzfristig anberaumte Gipfeltreffen sind in Washington, London oder Brüssel nichts Besonderes. Für die deutsche Hauptstadt, im eigenen Land eher als dysfunktionaler Moloch verrufen, ist diese Rolle aber noch immer ungewohnt - trotz der seit Jahrzehnten sukzessive wachsenden Verantwortung Deutschlands für Europa und die Welt. Die Polizisten zeigten sich im Kontakt denkbar entspannt. Das Kanzleramt hatte rund um die Pressekonferenz von Merz und Selenskyj einen selten großen Andrang internationaler Medienvertreter zu bewältigen. Zeitgleich wurde eingedeckt für das Abendessen mit Präsidenten und Regierungschefs aus zehn befreundeten Nationen und den Chefs von EU und Nato. Das alles ist organisatorisch nicht zu unterschätzen, wenn gleichzeitig höchste Sicherheit gewährleistet werden muss. Auch bevor der Montag vorüber ist, lässt sich festhalten: Berlin, der hiesige Regierungs- und Polizeiapparat können Weltdiplomatie. Wer hätte das gedacht.

Quelle: ntv.de

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